Aufwachen, Kuschelbranche!

Die Outgoing-Reisebranche ist eine Dienstleistungsbranche – dementsprechend sind viele von uns sehr offen, zugänglich und überaus nett. Auch branchenintern pflegt man die Harmonie, quer über die verschiedenen Konkurrenzfirmen hinweg. Der Bückling ist in unserer Travelagent-DNA quasi schon mit eingebaut. Was unsere Branche für viele ausmacht, wird uns jetzt aber leider immer mehr zum Verhängnis:

Die Ereignisse der letzten Monate sind dramatisch, mit Umsatzrückgängen von 70-80%, ist in der Schweizer Reisebranche im 2020 zu rechnen – und leider sind wohl auch weitere Büroschliessungen und Massenentlassungen (bisher ca. minus 350 Stellen) nicht zu vermeiden.

Unsere Branche fliegt uns also gerade gewaltig um die Ohren… und es wird für viele Firmen keine Zukunft geben, ohne dass der Bund die Branche für das monatelange, faktische Berufsverbot (das infolge der Quarantänen anhält) entschädigt, wie dies auch bei Kulturschaffenden, Event-Anbietern, Sportvereinen, Startups, Transportunternehmen, Spitälern, Kitas, Winzern, Incoming-Reisebranche, schon längst auf den Weg gebracht wurde!

Und was machen unsere Reisebranchen-Exponenten und Wortführer, wie Verbände, CEO’s und Branchenmedien? Sie sind alle nett, mahnen zur Geduld und betonen, dass man die (streng geheimen) Gespräche der Verbands-Taskforce beim Seco jetzt nicht durch “Aktivismus” torpedieren solle. “Habt Geduld und Vertrauen” ist das Mantra, welches so viele in unserer Branche predigen. Und ab und zu poppt, zur Beruhigung der Reisebüro-Seele ein Selfie, von einem Treffen einer Verbandsdelegation mit einem Bundesrat auf.

Aber seien wir mal ehrlich miteinander und etwas selbstkritisch:
Die Bemühungen unserer Exponenten in Bern – allen voran André Lüthi, der das mit einem riesigen Einsatz macht, sind löblich, sehr verdankenswert und haben die allerbesten Absichten. Trotzdem müssen wir konstatieren, dass diese seit der Sondersession, wo man noch mit Ach und Krach den Betreibungsstillstand und die LX-Rückzahlungsklausel durchgebracht hat, ins Stocken geraten sind. Diese beiden Erfolge für die Branche, haben den Bund übrigens keinen Rappen gekostet, sondern ihnen zwei Probleme (Verschlampung Revision PRG und Konsumentenaufstand bei LX-Zahlungsausfall) elegant gelöst! Wir sollten uns deshalb davon nicht allzu fest blenden lassen.

Daneben scheint die Taskforce vorallem mit dem Seco in Kontakt gestanden zu sein und hat auf dessen Geheiss ein Papier mit möglichen Unterstützungsformen erarbeitet und besprochen. Es müssen viele Sitzungen mit dem Seco (in deren Sold zeitweise André Lüthi und weitere Globetrotter-Mitarbeiter standen! Korrektur: Sie hatten nur ein unentgeltliches Mandat) gewesen sein, denn man hat offenbar in einem Anflug von Stockholm-Syndrom zugestimmt, dass die Details dieser Unterredungen geheim bleiben! Man muss sich das mal vor Augen führen: Die Verbandsspitzen führen wochenlang Geheimgespräche mit einer Bundesbehörde und lassen dabei ihre Mitglieder und sogar ihre Vorstandskollegen bis heute im Dunkeln!

Am 2. Juli, kurz vor den Sommerferien, dann ein Lichtblick! Der SRV meldet, dass “Mitarbeiter in arbeitgeberähnlicher Stellung” (MIAS) in der Reisebranche nun auch Kurzarbeitsentschädigung (KAE) beantragen können. Die Taskforce jubelt: “Der Reisebranche fliessen Millionen zu”. Wenige Tage später stellt sich dann (diesmal still und leise) heraus, dass die Reisebranche hier doch nicht berücksichtigt wurde, sondern nur die Event-Branche. Anstatt Millionen, gibts keinen Rappen! Ob unsere Reisebranchen-Vertreter hier etwas falsch verstanden haben, oder politisch aufs Glatteis geführt wurden, ist nicht bekannt und wird von den Verbänden und den (ebenso braven) Branchenmedien totgeschwiegen.

Das alles hinterlässt leider ein sehr ungutes Gefühl und irritiert mich zutiefst. Gleichzeitig habe ich aber auch ein gewisses Verständnis für unsere Reisebranchen-Vertreter. Das Berner Politpflaster ist hart und voller Schlangengruben und wir als Schweizer Reisebranche sind in Bundesbern blutige Anfänger.

Eines ist für mich aber so sicher, wie das Amen in der Kirche: Unsere Branche muss in die Offensive, wir müssen laut werden, richtig laut werden, um in Bundesbern gehört zu werden!! Subventionen werden nicht in bundesrätlichen Hinterzimmer-Deals verteilt, sondern über politische Meinungsmache, Lobbying und öffentlichen Druck auf den Weg gebracht – alles andere ist – sorry – naiv!

Ich fordere deshalb unsere Verbände, unsere CEO’s, unsere Branchenmedien, ja die gesamte Reisebranche auf, endlich, endlich laut zu werden, Forderungen zu stellen und ganz klar zu formulieren, was man vom Bund will und dafür zu sorgen, dass wir damit permanent medial präsent sind! Kämpfen ist angesagt meine Freunde, nicht taktieren und kuscheln – sonst stehen wir im Herbst mit leeren Händen und gescheiterten Existenzen da!


PS:
Und noch etwas: Wenn ich das nächste Mal einen unserer Outgoing-Branchenvertreter öffentlich sagen höre, dass wir halt viel kleiner und viel weniger wichtig als das Incoming seien, so beisse ich in die Tischplatte! Was objektiv richtig ist, darf in einer Debatte nie so öffentlich gesagt werden, denn es macht einem erst recht klein und unbedeutend. Unsere Branche sorgt für die schönsten Wochen im Jahr und hilft Firmen bei der Organisation für wirtschaftlich wichtige Geschäftsreisen. Ohne uns wären Tausende Schweizer den Lockdown über im Ausland geblieben, und nicht mehr heimgekommen. Wir sind systemrelevent und wichtig, basta!

7 thoughts on “Aufwachen, Kuschelbranche!

  1. Gsell Marcel says:

    Danke Roland Zeller, so ist es von A – Z. Ohne weltweit funktionierendes, organisiertes Outgoing wird die gesammte Weltwirtschaft nicht mehr an die Vergangenheit anknüpfen können. Die Organisation von Reisen ist wie das Oel in jedem Motor.

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